PIUS FOX
CATNAPS
04/11/–17/12/2016

 

PIUS FOX
CATNAPS
04/11/-17/12/2016

PIUS FOX<br/>Conrads 2016
PIUS FOX<br/>Conrads 2016
PIUS FOX<br/>Conrads 2016
PIUS FOX<br/>Conrads 2016
PIUS FOX<br/>Conrads 2016
PIUS FOX<br/>Conrads 2016
PIUS FOX<br/>Conrads 2016
PIUS FOX<br/>Conrads 2016
PIUS FOX<br/>Conrads 2016
PIUS FOX<br/>Conrads 2016
PIUS FOX<br/>Conrads 2016

„Im Schlaf versammelt der Mensch um sich im Kreise den Lauf der Stunden, die Ordnung der Jahre und der Welten […]; doch können ihre Ordnungen durcheinandergeraten, sie können zusammenbrechen.

Wenn ihn beispielsweise gegen Morgen, nachdem er eine Weile schlaflos dagelegen hat, beim Lesen der Schlummer in einer ganz anderen als der normalen Schlafstellung überfällt, dann genügt das Heben eines Arms, um die Sonne in ihrem Lauf anzuhalten und rückwärts gehen zu lassen; er verliert sein Zeitgefühl, und in der ersten Minute seines Erwachens wird er meinen, er sei eben erst zu Bett gegangen.“1

Das Erwachen aus einem kurzen Schlaf, einem Catnap, wird zu Beginn von Marcel Prousts Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit als ein Zustand des Durcheinanders beschrieben. Nicht mehr schlafend, aber auch noch nicht völlig erwacht, stiften der ungewöhnliche Ort und die ungewohnte Schlafposition zunächst Verwirrung. Der Erzähler weiß weder, wie lange er geschlafen hat, noch wo er sich befindet. Aber mit diesem vorläufigen Zusammenbruch der Raum-Zeitordnung erwachen seine Erinnerungen. Längst vergessen geglaubte Ereignisse tauchen plötzlich wieder auf und für den Erzähler beginnt im Roman seine Suche nach der verlorenen Zeit.

Die Arbeiten von Pius Fox sind stark referentiell. Die Bezüge zur klassischen Malerei speisen sich neben der Maltechnik und dem Farbauftrag auch aus den Motiven. Die Atelierbilder, die miniaturisierte Gemälde und Skulpturen zeigen, erinnern an barocke Galeriebilder – wie Erzherzog Leopold Wilhelm in seiner Galerie in Brüssel (um 1651) von David Teniers d. J.. Die abgebildeten Arbeiten wurden zwecks Repräsentation der umfassenden Sammlung detailgenau wiedergegeben, um die vom Sammler erworbenen Werke für den Betrachter kenntlich zu machen. Die tatsächlichen Größen, die Proportionen und Perspektiven der einzelnen Gemälde blieben dagegen weitgehend unbeachtet, um eine möglichst große Anzahl an Werken auf einer Leinwand zeigen zu können.

Die Arbeiten von Pius Fox sind ebenfalls keine Abbilder einer geschichtlichen Räumlichkeit. Auf seinen Atelierbildern werden die Skulpturen und Bildmotive allenfalls verschwommen, wie im Traum oder Halbschlaf, sichtbar. Ein Eindruck, den die zurückgenommene, pastos-pastellige Farbgebung der Arbeiten verstärkt. Doch anders als bei den kunsthistorischen Vorgängern, bei denen sich der Betrachter des Raumes und der Zeit sicher sein kann, weil er die Situation erfasst — die trotz aller Verzerrungen im Dokumentarischen verbleibt — sind Fox’ Raumbilder uneindeutiger. Betrachtet man die kleinformatigen Arbeiten, betritt man einen eingehegten gedanklichen Bezirk, in dem Tiefe durch die Farbwirkung entsteht. Die Räume konstituieren sich über Farben. Auch bei den abstrakten Arbeiten von Pius Fox, die grafische Formen oder architektonische Objekte zeigen, ist besonders der Farbauftrag auffallend. Ein Merkmal seiner Malerei ist die Schichtung von Ölfarben auf Leinwand. aus denen mitunter feine Linien anschließend wieder herausgearbeitet oder mit Pinselstrichen aufgetragen werden. Beim nachträglichen Kratzen an der Oberfläche werden die darunter liegenden farbigen Lagen lediglich partiell hervorgeholt. Diese Technik lässt an Kinderzeichnungen mit Wachsmalstiften denken. Entgegen einem möglichen Betrachtereindruck überwiegt bei dem Verfahren des Herauskratzens das ungeplante Moment des Versuchs über kompositorische Aspekte.

Da Ölfarben erst trocknen müssen bevor die nächste Farbe aufgetragen werden kann, bedeutet dies, dass Pius Fox über den Verlauf mehrerer Tage eine Leinwand mit Öl bearbeiten muss. Das Verstreichen der Zeit macht sein Verfahren der Farbschichtung daher auch als eines der Archivierung von Zeitschichten lesbar, aus denen der Maler dann Versatzstücke wieder aufsteigen lässt. Erst durch diesen künstlerischen Akt des Ins-Jetzt-Setzens entsteht ein Bild.

Die Aquarelle von Pius Fox zeugen durch die Konsistenz der Farbe und durch den Farbauftrag von der Leichtigkeit seiner Malerei. Zwar ist ein all-over Verfahren des Schichtens, das die Ölfarbe zu einer Art Zeit-Archiv werden lässt, bei Aquarellen nicht möglich. Aber trotz der Unterschiede im Umgang mit dem Material lässt der für Aquarellmalerei untypische Versuch, Tiefe durch Schichtung zu erzeugen, Ähnlichkeiten mit Fox’  Ölmalerei erkennen. Bei einigen Zeichnungen wird die Farbe — statt sie herauszukratzen — ausgewaschen, bevor die nächste Lage aufgetragen wird. Als weitere Farbschichtungen ziehen sich mit Aquarell- oder Bleistift gemalte, feinmaschige Netze, Linien und Gitter über die Arbeiten.

Die Aquarelle greifen in Variationen die abstrakte Formpalette der Ölbilder auf. Weiter finden sich auch unter den Zeichnungen Werke, die das Konkrete noch streifen, weil sie vage etwas Gegenständliches aufrufen — wie die schwarz-weiße Arbeit Figures (2014).

Die Motive vieler Arbeiten von Pius Fox speisen sich aus einem Archiv kunstgeschichtlicher Referenzen und persönlicher Erinnerungen, bei dem auch dokumentarisches Material, wie Fotografien, als Vorlage dient. Öffnung (2014), das eine unbemalte Leinwand zeigt, ist so eine Arbeit, die auch in ihrer Schlichtheit eingewoben in ein Netz aus Verweisen ist, so dass sie bei Betrachtung sowohl private Reminiszenzen, als auch kunstgeschichtliche Bezüge aufzurufen vermag.

In der anfangs beschriebenen Sequenz des Romans reist der Erzähler, an der Schwelle zwischen Schlaf- und Wachzustand, gedanklich durch seine Vergangenheit bis in die Räume seiner Kindheit zurück. Es ist eine vage, tastende und chaotische Suche, bevor er sich nach dem Aufwachen wieder in Raum und Zeit verorten kann. Aber er entdeckt bei dieser Suche, dass mit den aufsteigenden Erinnerungen auch vergessen geglaubte Erfahrungsräume wiederkehren können, und sich mit dem Wiederauffinden bei ihm ein tiefes Glücksgefühl einstellt. Für den Erzähler wird das Wiederentdecken und Dechiffrieren dieses verborgenen Lebens und der vergessenen Erinnerungen zu einer Aufgabe, der er sich stellen muss, wenn er ein Kunstwerk schaffen möchte.

Text : Rebecca Hoffmann, 2015

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