ROMAIN CADILHON / ROOS VAN HAAFTEN
26/03/–06/05/2017

 

RAIMON CADILHON *1984, zeigt drei Werkgruppen mit Kohle oder Graphit auf Papier, die in ihrer Diversität zunächst überraschen. Die Titel der Serien geben einen ersten Hinweis auf den vom Künstler intendierten Subtext.

Die Gruppe der “Liminals” zeigt abstrakte monochrome Hell-Dunkel-Verläufe von Pigmenten wie Goldstaub, Silber und Graphit, Terre de Cassel…auf Papier. Der Künstler übernimmt hier einen vom Ethnologen Victor Turner geprägten Begriff. “Liminalität” beschreibt einen Schwellenzustand, in dem sich Individuen oder Gruppen befinden, nachdem sie sich rituell von der herrschenden Sozialordnung gelöst haben. (…) Während der liminalen Phase befinden sich die Individuen in einem mehrdeutigen Zustand. Das Klassifikationssystem der (alltäglichen) Sozialstruktur wird aufgehoben. Die Individuen besitzen weder Eigenschaften ihres vorherigen Zustandes noch welche des zukünftigen. Der Titel bezieht sich auf den Enstehungsprozess der Arbeiten dieser Werkgruppe. Cadilhon erzeugt die immateriell anmutende Hell-Dunkel-Zonen, indem er immer wieder Schichten von Kohlenstaub von den Seiten her über das Blatt bläst. Daraus resultiert die Aufhellung in der Bildmitte und die Abdunklung zu den Rändern mit ihren fließenden Übergängen. Die Grautöne bewegen sich immer zwischen einem absoluten Schwarz und einem reinen Weiß. Die Anzahl der aufgeblasenen Kohleschichten bestimmt den Grad der Abdunklung. Durch den Helligkeitsverlauf löst sich Bildfläche aus seiner Zweidimensionalität und wird in eine scheinbar gewölbte dreidimensionale Form transformiert, deren Inneres als ein schwaches Leuchten an die Oberfläche tritt.

Licht und Schatten sind auch in der neuesten Serie “Drawings for a Sculpture“ Hauptakteure. Kraftvoll und zugleich nuanciert zeichnet Cadilhon mit Kohle in klassischem Chiaroscuro in wechselndem Licht und aus unterschiedlichen Perspektiven den Kopf einer jungen Frau. Allerdings hat der Künstler zuerst einen plastischen Abguss seines Modells angefertigt. Die so entstandene Skulptur überarbeitet und dann in Segmenten wie beschrieben gezeichnet. Trotz der hohen naturalistischen Ausführung scheinen Licht und Schatten das Motiv auf den großformatigen Blättern eher zu verstecken als zu zeigen. Die sich daraus ergebende Verfremdung schafft trotz größter Nähe eine Distanz zum Motiv. Abstraktion und Naturalismus sind gleichermaßen an der Bildwirkung beteiligt.

Die fotorealistisch anmutenden Miniaturen der Werkgruppe “Studio” sind Momentaufnahmen seines Ateliers im Stil der niederländischen Genremalerei. Kleinste Details und Stofflichkeiten werden in den winzigen Bleistiftzeichnungen minutiös wiedergegeben. Das Licht umspielt Möbel, ausgebreitetes Arbeitsmaterial, works in progress, Pflanzen und andere Objekte. Er schafft so eine Bildwelt, die an die kunstvoll gemalten Interieurs des Barock erinnern. In der Ausstellung „Aufschlussreiche Räume – Interieur als Portrait“, Museum Morsbroich Leverkusen 2016, wurden diese Arbeiten erstmals im Museumskontext gezeigt. Fritz Emslander, der Kurator der Ausstellung, schreibt über die “Studio”-Zeichnungen (…) Vertieft man sich in diese gezeichneten Räume, in dieses Leben hinein, dann mag es einem fast so vorkommen, als kenne man den Künstler, als wüsste man, dass er zum Zeichnen leise Musik hört, zunächst die Vorhänge an den hohen Fenstern weit öffnet, um möglichst viel Tageslicht einzulassen und um dann ganz konzentriert, bedächtig und sorgfältig zu arbeiten.

Im Atelier die eigene Wahrnehmung frei von äußeren Zwängen und Einflüssen in hochkonzentrierten Arbeitsprozessen in hoch artifizielle Bilder zu fassen, enthält den Moment von Freiheit, der sich in Cadilhons Arbeiten dem Betrachter unmittelbar vermittelt.

ROOS VAN HAAFTEN *1983, Amsterdam, studierte zunächst Theater und Performative Künste ehe sie zur bildenden Kunst wechselte. Gegen Ende ihres Kunststudiums begann sie Theaterprinzipien anzuwenden und setzte für ihre installativen Arbeiten wie auch für ihre „Zeichnungen“ Theaterleuchten ein. Sie arbeitet mittels Licht und Schatten mit dem künstlerischen Prinzip des Unheimlichen, das seit dem frühen expressionistischen Film in das kollektive Gedächtnis eingegangen ist. Das Unheimliche beruht in der Regel auf einem gewissen Illusionismus, der insbesondere durch Unsichtbares das Bedrohliche evoziert. Bei van Haaftens Arbeiten sind dagegen Methode und Ergebnis offen dargelegt. Die Dinge, mit denen sie ihre Bilder schafft, sind an sich alltäglich und unbedeutend. Sie werden von der Künstlerin auf Glasscheiben platziert ohne das der Betrachter eine Ordnung oder ein System erkennen kann. Erst der Scheinwerfer macht die Motive sichtbar, da dessen Licht überraschende phantastische Landschaften auf die Wand projiziert.

Roos van Haaftens Werke sind ein Dialog von Erscheinung und Sein, eine Reflexion über die Wahrnehmung. Überraschend ist der augenscheinliche Gegensatz von der Imposanz des erzeugten Bildes und der Banalität der das Bild erzeugenden Objekte, die jeder direkten Beziehung zu ihrem Abbild entbehren, das als Miniaturwiedergabe einer großartigen Architektur oder einer poetischen Landschaft zunächst einmal einer ganz anderen Wirklichkeit angehört.

Sie greift Platons Höhlengleichnis auf, mit dem der Philosoph seine Ansichten über die menschliche Verfasstheit im Verhältnis zu Wahrnehmung, Erkenntnis und Wirklichkeit darlegt. Die Schatten in den Arbeiten van Haaftens sind um so rätselhafter als sie nicht im geringsten den Objekten, die sie erzeugen, zu zuordnen sind. Der Zusammenhang entsteht allein durch die Vorstellungskraft (der Künstlerin). Daher sieht van Haften die Instrumente zur Bilderzeugung als wesentliche Bestandteile der Gesamtinstallation an. Ihre Arbeiten sind – trotz der ihnen innewohnenden Poesie und Virtuosität, die sie in die Nähe des trompe l´oeil bringen, das Gegenteil einer visuellen Illusion und stellen auf schöne Weise die Eindeutigkeit des Sichtbaren in Frage.

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