ANDREAS ERIKSSON
01/03/–04/04/2008

 

Kosmos und umgekehrte Perspektiven

Immer gerade dann, wenn man meint, man hätte das Werk Andreas Erikssons endlich verstanden, wird man am gründlichsten enttäuscht. Lässt man sich einen Moment zu lange auf nur einen Aspekt seines weitverzweigten Oeuvres ein, tauchen am Horizont zumindest eine, in der Regel sogar gleich mehrere neue Wendungen auf, die die uns so liebe und vertraute Idee einer unmittelbaren Werkkohärenz nachdrücklich verwirren.

Zwischen Fotografie und Malerei, zwischen Skulptur und Installation entfaltet sich beim Gang durch den Ausstellungsraum, beim Umblättern der Katalogseiten ein schillerndes und zentrifugal sich ausdehnendes Werk. Ein faszinierend heterogener und unorthodoxer Umgang mit den verschiedenen Genres, Techniken und Stilen der jüngeren Kunstgeschichte, der nun schon fast ein Jahrzehnt die Arbeit Erikssons bestimmt.

Die eklektische Anmutung des ersten Blicks weicht allerdings recht schnell einer dichten, erstaunlich konzise sich vernetzenden Werkstruktur. Durch einen einfachen Perspektivwechsel wird aus dem divergenten Nebeneinander ein in sich stimmiges Universum. Die Kometen, Planeten und Monde in diesem Kunst-Kosmos umkreisen auf unterschiedlichen, zuweilen sich kreuzenden, zuweilen parallel sich begleitenden Bahnen ihren ästhetischen Kern: Andreas Eriksson. Wie in einer frühmittelalterlichen Evangelisten Darstellung fügt sich der gesamte Kosmos erst dann stimmig und sinnstiftend zueinander, wenn der Betrachter nicht von Außen auf die Welt im Bild blickt, sondern selbst die Stelle des Protagonisten einnimmt. In der ‚umgekehrten’ Perspektive der frühen Buchmalerei zwischen Spät-Antike und beginnenden Mittelalter wölbt sich die gesamte Welt förmlich um den in ihrem Zentrum portraitierten. In höchster Abstraktion legen sich die Schalen des Weltgewölbes, die himmlische Architektur und selbst der Thron des Schreibers um dessen Körper und binden diesen fest in ihre Tektonik ein. Das Bild ist hier nicht Erweiterung der Realität des Betrachters, sondern ihr konsequenter Gegenentwurf: Eine Welt, die immer fremd bleibt, auch wenn sie auf den ersten Blick der unseren zu gleichen scheint!

Es ist wohl exakt diese Kippfigur aus Nähe und Distanz, aus Vertrautheit und Fremdheit, mit der uns die eklektische Vielheit der Arbeiten Erikssons so irritierend konfrontiert. Das formal höchst divergente Werk, verbindet sich allerdings dann zu einem eng verwobenen Netz, wenn man den roten Faden der Kohärenz nicht zwischen den einzelnen Werken, sondern zwischen diesen und dem Künstler sucht. Eine persönliche, intime Wahrnehmung der Welt verbindet diese Bilder, Fotografien und Skulpturen, die erst über die Rückbindung auf seine Person, seine Familie, sein Atelier sinnstiftend werden.

So verdanken sich die schwarzen Bronze-Vögel der Serie „Content is a glimpse“, 2008, einer höchst privaten und morbiden Vorgeschichte. Was wir sehen sind Abgüsse von toten Vögel, die durch die Spiegelungen auf den großen Fenstern des Ateliers von Eriksson irritiert wurden und dann beim Aufprall auf dieselben zu Tode kamen. Das Ergebnis dieses Zusammenpralls von Zivilisation und Natur gewinnt eine metaphorischen-theoretische Dimension, wenn man für einen Moment die Perspektive wechselt: Der am Übergang von Realität und Kunst, von Atelier und Landschaft verendeten Kreatur widmet Eriksson einen höchst empathischen Epitaph und markiert im gleichen Moment den künstlerischen Prozess, das Abtötens der Natur, als notwendige Vorraussetzung seines Kunstwerks. Anders gewendet bedingt die künstlerische Kreation immanent den Tod der Vögel, dies umso mehr als im Herstellungsprozess auch noch ihre letzte materiale Spur getilgt wird. Die toten Körper werden abgeformt und dann durch die in die Formen einfließende, extrem heiße Bronze komplett verbrannt – und entweichen letztendlich als Verbrennungsabgase durch die angebrachten Röhren. Der beim Guss kopfüber hängende Tierkörper wird anschließend mitsamt dem Einfüllrohr und den ebenfalls verfüllten Röhren wieder aufrecht platziert. Wobei sich bei dieser „Umkehrung“ die Spuren der Fertigung in vegetabile Elemente verwandeln und sich das gesamte Kunst-Wesen zu einem faszinierenden Rebus zwischen Kunst und Natur verwandelt.

Diese faszinierende Membran zwischen Innen und Außen, Atelier und Realität, Künstler und Welt wird auch in den schwarzen Bildern Erikssons thematisiert. Seine „Shadow Paintings“ sind auf den ersten Blick homogen schwarz und sehen aus wie eine jener unzähligen Neu-Erfindungen der Farbfeldmalerei im Stile Ad Rheinhardts. In ihrem Inneren aber verbirgt sich eine komplette Welt, genauer das Ateliers des Künstlers bei Nacht. Die nächtlich-schwarzen Schatten, die die Scheinwerfern vorbeifahrender Autos auf die Atelierwand werfen und werden von Eriksson abfotografiert. Die dunkleren Wandpartien sind mit einer speziellen Untermalung angelegt, die als fast unmerkliche strukturelle Schattierungen durch die schwarze Acryl-Übermalung durchscheinen. An der Grenze des gerade noch Sichtbaren, wird der Betrachter der Fehlbarkeit seiner Wahrnehmung bewusst gemacht – und zugleich ihrer unermesslichen Kreativität: Ist, was er sieht oder zu sehen meint, noch real oder schon cerebrale Re-Konstruktion, imaginierte Realität? Mit dieser einfachen und dabei höchst effizienten Investigation in das Bild und seine Möglichkeiten, nimmt Eriksson den Betrachter mit zum Ursprung der Malerei, jenen Moment, in dem aus Imagination und schattenhaften Projektionen Bildwelten entstehen, die, auch wenn sie sich noch so sehr auf ein reales Außen beziehen, doch immer skrupulöse Introspektionen sind.

Gleichwohl spielt das Außen, die Natur, die unmittelbare Umgebung seines Ateliers eine wesentliche Rolle in seinem Oeuvre, auch wenn daneben die abstrakt gestische Malerei immer wieder von neuem auf ihre Tragfähigkeit überprüft wird und sein Oeuvre wesentlich bestimmt. Gerade diese abstrakte Geste allerdings lässt sich im Kontext dieses divergenten Oeuvres schlüssig vernetzen, ohne dabei ihre solitäre, ungegenständliche Autonomie zu verlieren. Im unmittelbaren Nebeneinander mit den auf Spaziergängen durch die Wälder in der Nähe seines Ateliers entstandenen Fotografien, wird eine erstaunliche formale Kongruenz sichtbar zwischen abstrakter und konkreter Welt – ohne dabei die kategorialen Unterschiede zu verwischen. Nicht das eine beeinflusst das andere, sondern eine neutrale Gleichwertigkeit der Mittel wird etabliert, die vorurteilslos und ohne Hierarchien zum Einsatz gebracht werden und dabei der Bronze „Tumbleweed“, 2006, nicht unähnlich, in einem fixen Zentrum zusammengeführt werden: Wie die in Bronze abgegossenen Äste von „Tumbleweed“ neu ausgerichtet wurden und nun wie ein Stern in einem künstlichen Zentrum zusammenlaufen, laufen alle Werkstränge auf Andreas Eriksson zu.

Selten wird dieses faszinierende ‚Double bind’ zwischen dem Autor und seinem Material plastischer fassbar als in den schon erwähnten Fotografien. Die Bäume, Findlinge, Schonungen, Stümpfe, Äste oder Schneefelder, die Eriksson eher beiläufig auf den täglichen Gängen mit seiner Freundin fotografiert, sind nur solange austauschbare Schnappschüsse, wie man sie isoliert von ihren Titeln und somit von ihrem Autor betrachtet. Dass das Foto des schweren Findlings im Schnee aber den Titel „Problem“ trägt oder die Vierergruppe von Tannen „Familly“ heißt, ist mehr als nur irritierend oder amüsant. Sich aneinander schmiegende Stämme werden zu Liebenden, in zwei im Laubwald sich versteckenden Fichten erkennt er sich und seine Freundin. Nicht das Aufladen der Dingwelt mit zum Teil irreführenden, zum Teil assoziationsreichen Bezügen ist hier bemerkenswert, sondern der Moment der künstlerischen Anverwandlung. Die umgebende Welt wird ihm zum Portrait seiner selbst, zum Spiegelbild seiner privaten Weltschau und die unscheinbaren Fotografien werden plötzlich zu geheimnisvoll belebten Szenarien zwischen Natur und Biografie. Fremde Materie – Steine, Bäume oder Schnee – wird zum vertrauten Gegenüber ebenso wie zum Teil Andreas Erikssons. Letztlich fügt sich alles, was er in seinen Werkkontext aufnimmt, zu einem komplexen Gesamtkunstwerk, einem Selbstportrait, das sich in allen Dimension kontinuierlich ausdehnt. Die Grenzen dieses Bild-Kosmos sind ebenso fließend wie jene zwischen dem Autor und seiner Welt. Wie der mittelalterliche Evangelist, als Schreiber des ‚logos’, des Wortes, das am Anfang steht, selbstbewusst ins Zentrum der Schöpfung gesetzt wird, ist das Werk Andreas Erikssons nichts weniger als die Erfindung der Welt in seinem Geist.

Dr. Martin Engler, Kunstverein Hannover, Hannover 2008

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